Neues Tool für Notfallplanung bei Extrem-Hochwassern

Screenshot des Hochwassertools mit Worst-Case-Szenario in Thun, bezogen auf die geschätzte Wassertiefe und Auswirkungen auf Strassen. 

Bild: Mobiliar Lab der Universität Bern

Auch Expertinnen und Experten konnten sich das Ausmass dieser Hochwasser nicht vorstellen: Mit den verheerenden Unwettern vom Sommer 2021 in Deutschland hatte schlicht niemand gerechnet. Dies zeigt, dass Hochwasser möglich sind, die den bisherigen Erfahrungsbereich massiv überschreiten – auch in der Schweiz. «Wir müssen das Undenkbare denken: extreme, noch nie so aufgetretene Niederschlagsszenarien sind möglich», sagt Olivia Romppainen, Professorin für Klimafolgenforschung und Co-Leiterin des Mobiliar Labs.

Nun hat das Mobiliar Lab Auswirkungen von extremen Hochwasserszenarien in der Schweiz mit Hilfe eines neuen Modellierungstools ermittelt. Die Berechnungen zeigen, dass es bei einem extremen Niederschlagszenario innert kürzester Zeit in sehr vielen Flüssen zu Überschwemmungen kommt. An unterschiedlichen Orten treten die Schäden praktisch gleichzeitig auf und schnellen sprunghaft in die Höhe. Die extremen Hochwasser hätten in einem solchen Worst-Case-Szenario Gebäudeschäden von knapp 6 Milliarden Franken zur Folge, was die gesamten ökonomischen Schäden von 3 Milliarden Franken des Jahrhunderthochwassers in der Schweiz von 2005 bei weitem übertrifft. Kommt dazu: Treten extreme Überschwemmungen simultan auf, werden die Rettungsorganisationen vor massive Herausforderungen gestellt. Es kann zu grossen logistischen und personellen Problemen kommen.

Neue Sicht auf die Dynamik von Naturgefahren

«Wir sind für unsere Berechnungen von Niederschlagsszenarien ausgegangen, die extrem, aber physikalisch plausibel sind», sagt Andreas Zischg, Professor für die Modellierung von Mensch-Umwelt-Systemen und Co-Leiter des Mobiliar Labs. «Sie haben sich zwar noch nie ereignet, könnten aber auftreten. Dann hätten wir es mit einem hydrologischen Erdbeben zu tun, also einem Ereignis mit grosser räumlicher Betroffenheit.» Dabei liegt der Fokus des Hochwasser-Tools nicht, wie bei der Betrachtung von Naturgefahren bisher üblich, auf Auswirkungen in einzelnen Gemeinden. Betrachtet werden erstmals die kombinierten Folgen für mehrere Flusseinzugsgebiete in weiten Teilen der Schweiz.

Wie die Untersuchung von neun extremen gesamtschweizerischen Niederschlags- und Hochwasserszenarien zeigen, liefert das Werkzeug Forschungsresultate von grosser gesellschaftlicher Relevanz. So zeigen die Simulationen des Mobiliar Labs etwa erstmals, welche indirekten Auswirkungen Überschwemmungen haben: Durch extreme Hochwasser werden unter anderem Verkehrsverbindungen unterbrochen. Im Worst Case-Szenario führt das zu Umleitungen in der Länge von 3’000 Kilometern – mit entsprechenden Folgen für Personen, die pendeln, und Lieferketten. Zu den erweiterten Präventionsmassnahmen im Hochwasserfall gehört deshalb die Planung möglicher Ausweichrouten bei Überschwemmungen.

«Treten grosse Schäden an vielen Orten gleichzeitig auf, führt dies innert Kürze zu einer komplexen und schwierig zu bewältigenden Situation», erklärt Andreas Zischg. Deshalb brauche es unbedingt eine koordinierte überregionale Notfallplanung, um auch auf Hochwasser von bisher undenkbaren Dimensionen vorbereitet zu sein. Das Tool soll nun als Übungstool für den Bevölkerungsschutz und für Blaulichtorganisationen dazu beitragen, die Notfallplanung zu verbessern und Schäden im Katastrophenfall zu mindern.

Das Mobiliar Lab für Naturrisiken an der Universität Bern

Das Mobiliar Lab für Naturrisiken ist eine gemeinsame Forschungsinitiative des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern und der Mobiliar. Untersucht werden in erster Linie die an Hagel, Hochwasser und Sturm beteiligten Prozesse und die Schäden, die daraus entstehen. Das Mobiliar Lab arbeitet an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis und strebt Resultate mit hohem Nutzen für die Allgemeinheit an. Die Unterstützung durch die Mobiliar ist Teil des Gesellschaftsengagements der Mobiliar Genossenschaft.

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