Hermetia illucens ist eine faszinierende Spezies: Aus Südamerika stammend hat sich die kleine, sogenannte «schwarze Soldatenfliege» (Black Soldier Fly) seit ihrem ersten Auftauchen in Malta 1926 bis nach Mitteleuropa ausgebreitet, wo sie 2010 auch erstmals in der Schweiz nachgewiesen wurde. Ihre Faszination ergibt sich aus zwei ihrer Eigenschaften: Ihre Larven ernähren sich als sogenannte «Saprophagen» von totem, sich zersetzendem organischem Material und sie eignen sie aufgrund ihres hohes Protein- und Fettanteils hervorragend als Tierfutter. So gibt es auf dem Markt bereits heute Hundefutter mit Hermetia illucens zu kaufen, das sich in Tests seiner Verdaulichkeit sogar als überlegen gegenüber einem traditionellen Produkt mit Beigabe von Geflügel erwies.
Im Bereich der Nutztierproduktion kann das Insektenprotein in der EU und in der Schweiz bereits in der Fischzucht eingesetzt werden, als Futter für Schweine und Geflügel in der EU seit 2021. In der Schweiz ist die Implementierung einer Regelung bis Ende 2024 angedacht. Je mehr die Nutzung von Insekten als Nutztierfutter voranschreitet, eröffnen sich weitere Chancen: Ein partieller Ersatz von Proteinen in Nutztierfutter durch Hermetia illucens reduziert ökologische Schäden durch intensivlandwirtschaftliche Produktionsprozesse proteinhaltiger Pflanzen (vor allem Soja) in den Ländern wie Brasilien, vermeidet lange Transportwege, erschliesst lokale Wertschöpfungspotenziale und stärkt die Resilienz der heimischen Märkte für Futter- und Lebensmittel.
Ob Hermetia Illucens künftig auch als Speiseinsekt genutzt werden kann und damit in die Fussstapfen von Mehlwürmern, Grillen und Buffalo-Würmern treten wird, ist noch nicht hinreichend erforscht – ebenso wenig wir die Frage, ob auch der Kot der Insekten (sogenannter «Insektenfrass») und das aus ihrer Pressung resultierende Insektenöl wirtschaftlich genutzt werden können. Allerdings stehen die Chancen für alle drei Optionen prinzipiell gut: Die Beigabe von Insektenschrot in Getreideprodukten wie Brot, Getreideriegeln oder Nudeln erscheint ebenso realistisch wie die Nutzung des Frass, denn dieser besteht neben den Ausscheidungen der Larven aus Futterresten und der abgestreiften chitinhaltigen Haut der Larven, die zusammen sehr nährstoffreich sind und den Frass alleine oder vermengt mit anderen Stoffen zu einem Kandidaten für ein hochwertiges Düngemittel machen. Und auch die Nutzung des Insektenöls als energiereicher Treibstoff (Biodiesel) ist eine naheliegende Option.
Grosstechnische Aufzucht der schwarzen Soldatenfliege
Die Eigenschaften der schwarzen Soldatenfliege legen nahe, sie in grösserem Massstab aufzuziehen, was einige europäische Biotechnologie-Unternehmen auch tun. Die weltweit grösste Insektenfabrik betreibt die niederländische Firma «Protix» in Bergen op Zoom. In diesen grosstechnischen Anlagen werden Soldatenfliegenlarven in Tausenden gestapelter Schubladen («Trays») aufgezogen, um einen ausreichenden Luftaustausch zu gewährleisten. Die Anlagen müssen dabei klimatisiert und die Trays regelmässig geleert, wieder befüllt und gewartet werden. Das treibt die Kosten in die Höhe. Damit sich eine Anlage rechnet, müssen die Unternehmen folglich hohe Summen investieren und grosse Mengen an Insekten produzieren und weiterverarbeiten. Im Markt des Anlagenbaus agiert mit der Firma Bühler aus Utzwil auch ein namhaftes Schweizer Unternehmen.
Wenngleich die Insektenproduktion in einem solchen industriellen Massstab unbestreitbar ökologische Vorteile mit sich bringt, ergeben sich auch kritische Fragen. Die wohl wichtigste betrifft die nach der Anlieferung der Biomasse, die in den seltensten Fällen in ausreichender Menge und mit den notwendigen Eigenschaften direkt vor Ort anfällt. Und die häufig nicht lagerfähigen oder flüssigen Nebenprodukte über einen langen Transportweg in die Grossanlagen zu verbringen, rechnet sich selten und ist ökologisch fragwürdig. Da es in der Schweiz noch keine dieser Anlagen gibt, werden hierzulande auch weiterhin Nebenströme minderwertig entsorgt. Vor allem mit Blick auf Nebenströme aus der Lebensmittelproduktion ist dieses «Downcycling» aber weder ein ökonomisch noch ein ökologisch sinnvolles Verwertungsverfahren dieser wertvollen Rohstoffe.
Vom zentralen zum dezentralen Ansatz
Dieser Herausforderung begegnet eine neue, innovative Technologie des Schweizer Tech-Startups «SmartBreed». Das 2019 gegründete Unternehmen aus Zufikon im Aargau wurde bekannt durch seine vollautomatischen Aufzuchtboxen von Heuschrecken und Grillen als Tierfutter in Zoos wie dem «Zolli» in Basel. Nun hat SmartBreed nach intensiver Forschung vollautomatische Aufzuchttanks (Fermenter) entwickelt, in denen lebensmittelverarbeitende Unternehmen (LVU) direkt an ihrem Standort ihre Nebenprodukte aus den Produktionsprozessen für die Aufzucht von Soldatenfliegenlarven nutzen können. Die Fermenter können dabei von ihrer Grösse und Anzahl her an die anfallenden Mengen angepasst werden. Die Produktionsreste werden dabei lokal in die patentierte Aufzuchtanlage überführt, wo sie zerkleinert und in grosse Tanks gepumpt werden. Die breiartige Masse wird anschliessend mit winzigen Larven der Schwarzen Soldatenfliege vermengt. Die Larven wandeln das Substrat innerhalb von 6-10 Tagen vollständig um; das Restmedium wird als hochwertiger Dünger zurückgewonnen. Die Larven haben ihr Gewicht in der kurzen Zeit um den Faktor 2'000 erhöht und werden als Proteinquelle weiterverarbeitet. Ergebnisse aus Versuchen mit unterschiedlichen Nebenprodukten in Fermentern mit 3 Tonnen Fassungsvermögen belegen eine sehr gute Proteinrückgewinnungsquote. Aktuell plant SmartBreed den Bau dreier Pilotanlagen zur Aufwertung von drei unterschiedlichen Arten von Nebenprodukten und den Vertrieb der daraus gewonnenen Insektenprodukte schweizweit.
Aus dieser neuen Technologie ergeben sich für die LVU einige potenzielle Vorteile:
- Durch die Weiternutzung ihrer Produktionsreste behalten sie die Kontrolle darüber und können aus deren Aufwertung durch Insekten einen ökonomischen Wert generieren, indem sie die daraus resultierenden Produkte (Insektenschrot, -öl und -frass) auf den Markt bringen.
- Zudem müssen sie die Nebenprodukte nicht mehr in eine Kehrrichtverbrennungs- oder Biogasanlage bringen, was Transport- und Entsorgungskosten inklusive der dadurch anfallenden CO2-Emissionen vermeidet.
- Eine Aufwertung dürfte ganz im Sinne des BAFU sein, das anfallende Lebensmittelverluste gerne entlang der Kaskade 1. interne Weiterverarbeitung zu Lebensmitteln, 2. Anbieten auf einem Marktplatz (z.B. «Circunis»), 3. Weitergabe an Spendenorganisationen, 4. Verfütterung als Tierfutter und 5. Energiegewinnung behandelt sähe. Die Weiterverarbeitung durch Insekten stünde in dieser Kaskade irgendwo zwischen einer Weiterverarbeitung zu Lebensmitteln (wenn das Insektenschrot in Lebensmittel eingebracht würde) und einer Nutzung als Tierfutter.
- Die Schliessung des Kreislaufs der Lebensmittelproduktion würde es den LVU schliesslich ermöglichen, darüber auch in der Kommunikation über ihre Nachhaltigkeitsleistungen zu berichten.
Abklärungen in einem laufenden Innosuisse-Projekt
Da es sich beim Markt der Insektenaufzucht noch um einen sehr jungen und dynamischen Markt handelt, sind viele der Fragen sowohl zur technischen Machbarkeit als auch zum ökonomischen Nutzen noch nicht abschliessend geklärt. Einige Antworten werden aus einem laufenden, von Innosuisse geförderten Projekt erwartet. Darin soll unter anderem eine Ökobilanz erstellt werden, die zum einen klären wird, ob eine direkte Verfütterung von Lebensmittel-Nebenprodukten an Insekten in einer Aufzuchtanlage im Produktionsbetrieb und die Gewinnung der Rohstoffe daraus ökologisch vorteilhafter ist als konventionelle Verwertungswege. Zum anderen soll das Potenzial zur CO2-Reduktion bestimmt werden; sollte dieses erheblich sein, könnten gegebenenfalls CO2-Zertifikate erstellt werden, mit denen die LVU ihre Klimaziele besser erreichen könnten. Ebenso sollen in dem Projekt die Vermarktungschancen und -wege der aus den Aufzuchtanlagen resultierenden Produkte analysiert werden. Könnte zum Beispiel ein LVU seine erzeugten Insektenprodukte an ein anderes Unternehmen weitergeben, das daraus Zutaten für die Lebensmittelproduktion erzeugen könnte? Könnte das aus dem Pressen der Insekten erzeugte Insektenöl nicht nur als Biodiesel, sondern – nach einer Gesetzesänderung – auch als Öl für die Futter- und Lebensmittelproduktion eingesetzt werden? Und kann der erzeugte Insektenfrass gegebenenfalls als Dünger beziehungsweise Düngerzusatz vermarktet werden?
Wie erfolgreich sich der Markt wird entwickeln und damit auch die positiven ökologischen Wirkungen wird entfalten können, hängt letztlich auch davon ab, wie sich die Gesetzeslage verändert und sich die Behörden zu den Entwicklungen stellen. Die Zulassung von insgesamt vier Speiseinsekten als Lebensmittel in der EU im vergangenen Jahr gibt Anlass zur Hoffnung. Allerdings hinkt die Schweiz den Entwicklungen hinterher und präsentiert sich derzeit nicht als ein attraktiver Markt für die Insektenproduktion. Sollen hierzulande die Lebensmittelproduktion resilienter gemacht, Kreisläufe geschlossen und neue Wertschöpfungspotenziale mit Insektenprodukten erschlossen werden, müsste sich daran möglichst rasch etwas ändern. Insbesondere sollte es möglichst bald Lockerungen geben, die eine umfassendere Nutzung von Hermetia illucens in Lebens- und Futtermitteln sowie als Düngemittel ermöglichen. Dann nämlich würden auch Produzierende von Gemüse, Eiern, Fisch und Fleisch auf diese nachhaltigen und ressourcenschonenden Futtermittel und Dünger zugreifen können.
Mehr Informationen unter:
www.smartbreed.ch