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Künstliche Intelligenz schlägt Dr. rer. nat.

 

Es gab Zeiten, da musste man einem analytischen System jeden Befehl einzeln geben oder ihn zumindest in die Software hineinprogrammieren. Heute braucht sie „nur“ den Input grosser Datenmengen und lernt dann selbständig – zum Beispiel Spektren lesen und im Voraus berechnen. Neben „Big Data“ zeigt ein zweiter Trend zu „small is beautiful“ – bis hin zu kleinen und praktischen handgehaltenen Spektrometern.

 
Das Zauberwort heisst heute in vielen Fällen „Künstliche Intelligenz“. Ihr genereller Einsatz ist ganz offensichtlich disruptiv. „Er ermöglicht es, im Prinzip jeden deterministischen Prozess zu optimieren“, gibt sich Prof. Dr. Anatole von Lilienfeld, Fakultät für Chemie an der Universität Basel, überzeugt.
 

Grosse Rechenleistung

Die Betonung liegt auf dem Wörtchen „jeden“. Denn die Potenziale der Künstlichen Intelligenz lassen sich auf vielen Feldern ausspielen. Die chemische Forschung stellt allerdings wegen ihres besonders hohen Anspruchs einen Gipfel dar, der sich schwerer als in anderen Disziplinen besteigen lässt. Aber im Austausch von Hochschule und Industrie stiess man bereits in luftige Höhen vor.
 
„Zum Beispiel konnten wir dies kürzlich für Novartis bei der automatisierten Kategorisierung von Spektren im Millisekundentakt demonstrieren“, berichtet Prof. von Lilienfeld. „Für diese Aufgabe hat es bis anhin einen promovierten analytischen Chemiker gebraucht. Er benötigte circa 20 Minuten pro Spektrum und wies eine höhere Fehlerquote auf als die von uns eingesetzte Künstliche Intelligenz.“
 
Tragbare NIR-Spektrometer ermöglichen die Analyse von Proben auch ausserhalb des Labors. Bild: trinamiX
 
Im Bereich der Spektroskopie findet zurzeit eine ganze Reihe von Neuentwicklungen statt. Zum Beispiel haben Forscher mit KI-Verfahren jetzt, statt wie bisher nur für kleine, auch für grössere und komplexe Moleküle Infrarotspektren vorhersagen können. Die Grundlage bilden neuronale Netzwerke mit der Fähigkeit, „aus Erfahrung zu lernen“. Für die Praxis könnte man sich den folgenden Fall vorstellen: Ein Spektrum zeigt eine unbekannte Substanz. Selbst wenn ihr IR-Spektrum noch nie gemessen wurde, so könnte man es doch simulieren und die Substanz darüber letztlich identifizieren, ohne sie synthetisiert und vermessen zu haben. Ebenso liessen sich bestehende Spektrenbibliotheken allein durch Errechnen neuer Spektren wesentlich erweitern.
 

Kleine Analysensysteme

Neben der enormen Unterstützung durch Künstliche Intelligenz beeindruckt die Miniaturisierung spektroskopischer Geräte. Zum Beispiel ist der Platzbedarf von Raman-Spektrometern in wenigen Jahren von „raumfüllend“ bis „handlich“ geschrumpft. Das geht bis hinunter zu handgehaltenen Analysesystemen, in der Raman- ebenso wie in der Infrarot-, der Nahinfrarot- (NIR) und der Mittelinfrarotspektroskopie.
 
In dieser Form entwickeln die genannten spektroskopischen Verfahren ein marktveränderndes Potenzial. Zum Beispiel stellen handgehaltene NIR- oder Ramanspektrometer eine Alternative zur traditionellen Karl-Fischer-Titration bei der Bestimmung der (Rest-)Feuchte dar. Für die Spektroskopie spricht viel: Ein Probenzug entfällt und damit auch ein Grossteil des Risikos für einen Kontakt des Personals mit toxischen Stoffen. Kein Probenkontakt des Analysesystems bedeutet gleichzeitig die Vermeidung einer Hauptfehlerquelle innerhalb des Gesamtablaufs der Analyse. Und Verbrauchsmaterialien fürs Labor entfallen ebenso, was ein zusätzliches Plus für die Umwelt bedeutet.
 
Im Falle transparenter Gebinde tun die Miniaturspektrometer zuverlässig ihren Dienst und empfehlen sich damit zum Beispiel für die 100-%-Identitätsprüfung von Rohstoffen im Wareneingang. Auch der Trend zum Continuous Manufacturing (statt der Batch-Fertigung) treibt den Markt in Richtung handgehaltener Analytik. Der Mitarbeiter stellt sich mit dem NIR- oder Raman-Spektrometer einfach an ein Sichtfenster und kontrolliert dort den laufenden Prozess at line und erhält an Ort und Stelle sein Ergebnis. Den Weg ins Labor und lange Wartezeiten kann er sich sparen. 
 
Einer zunehmenden Nachfrage erfreuen sich auch in line-Systeme. NIR- und Raman-Sonden werden fest im Prozess installiert und lassen sich gegebenenfalls elektronisch vernetzen. So kann der Betreiber die spektroskopischen Daten nutzen und dabei von allen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz bei der Anlagenüberwachung und -steuerung profitieren.
 

Kompakte Bauweise, automatisierte Probenvorbereitung

Auch Massenspektrometer beanspruchen eine immer kleinere Stellfläche und lassen ihre Anwender doch von vielen intelligenten Funktionen profitieren wie etwa durch die direkte Anbindung vollständig automatisierter Module zur Probenvorbereitung bei linearen Benchtop-MALDI-MS-Geräten (z.B. MALDI-8020, Shimadzu). Noch deutlich kompakter zeigen sich handgehaltene Massenspektrometer, wie sie etwa beim Aufspüren kleinster Mengen an chemischen Kampfstoffen eingesetzt werden.
 
Zu guter Letzt noch einmal zurück zur automatischen Katalogisierung von Spektren: Warum sollte hier der Naturwissenschaftler nicht verlieren dürfen? Auch im Schach müssen sich heute Grossmeister leistungsfähigen Computern geschlagen geben. Eines zeigt sich daran jedoch immer deutlicher: In Chemie, Pharma und Biotech stehen wir nahe an der Schwelle disruptiver Veränderungen durch Künstliche Intelligenz.
 
Die gesamte Bandbreite der hier dargestellten Trends und Innovationen erlebt der Besucher auf der diesjährigen ILMAC LAUSANNE.
 
 
 
ILMAC LAUSANNE 2020
Dauer Mittwoch, 7. und Donnerstag, 8. Oktober 2020
Öffnungszeiten 9.00 bis 17.00 Uhr
Ort Expo Beaulieu Lausanne, Halle 7
Veranstalter MCH Messe Schweiz (Basel) AG
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