Flugzeug-Feinstaub: Auswirkungen auf Atemwege
In einem bisher einzigartigen Experiment haben Forschende unter der Leitung der Universität Bern die Wirkung von Abgaspartikeln aus Flugzeugturbinen auf menschliche Lungenzellen untersucht. Bei Partikeln, die im Leerlauf ausgestossen werden, waren die Zellreaktionen am stärksten. Es zeigte sich auch, dass die zellschädigende Wirkung nur bedingt vergleichbar ist mit der Wirkung von Partikeln aus Benzin- und Dieselmotoren.
NATHALIE MATTER
Extrem kleine Partikel im Nanometerbereich
Können aber eingeatmete Partikel dieses Abwehrsystem aufgrund ihrer Struktur oder physikalisch-chemischen Eigenschaften überwinden, besteht die Gefahr, dass das Lungengewebe irreparabel geschädigt wird. Dieser Prozess, welcher den Forschenden aus früheren Experimenten mit Partikelemissionen aus Benzin- und Dieselmotoren bekannt ist, wurde nun auch für die Partikelemissionen aus Flugzeugtriebwerken nachgewiesen.
Einzigartiger interdisziplinärer Versuchsaufbau
In neuartigen, kombinierten Experimenten haben die Forschenden nun die Giftigkeit von Partikeln aus den Abgasen eines CFM56-7B Turbofans, der weltweit am häufigsten eingesetzten Flugzeugturbine, untersucht. So wurde die Turbine im Prüfstand von SR Technics am Flughafen Zürich unter Steigflug- und Leerlaufbedingungen betrieben. Dabei konnte ein weltweit standardisiertes Messverfahren genutzt werden, das für die Umweltzulassung von Flugzeugtriebwerken verwendet wird. Untersucht wurde auch die Zusammensetzung des Treibstoffs: die Turbine wurde mit konventionellem Jet A-1 Kerosin oder Biotreibstoff betrieben. Dieser besteht aus Kerosin mit 32% HEFA («hydrogenated esters and fatty acids») aus altem Frittieröl, tierischen Fetten, Algen und Pflanzenölen.
Eine speziell für inhalationstoxikologische Untersuchungen von Nanopartikeln entwickelte und an der FHNW gebaute Aerosol-Depositionskammer ermöglichte es, die entstandenen Feinstaubpartikel realitätsnah auf Kulturen von Bronchialepithelzellen, die die Innenseite der Bronchien auskleiden, abzulagern. So konnte ein Aerosol direkt auf menschliche Lungenzellen deponiert werden, was in einem Versuch mit Probanden aus ethischen Gründen nicht möglich wäre. Zudem wurden die Partikel physikalisch-chemisch und in Bezug auf ihre Struktur analysiert, um mögliche Zusammenhänge mit der Wirkung der Partikel zu untersuchen. «Es handelt sich um ein weltweit einzigartiges Experiment, das Emissionsmesstechnik mit medizinischen Analysen unter wirklichkeitsnahen Bedingungen kombiniert», sagt Benjamin Brem, Flugzeugturbinen-Aerosolforscher an der Empa, jetzt am Paul Scherrer Institut.
Toxizität hängt vom Betriebszustand der Turbinen und der Treibstoffart ab
Bei den Zellkulturen wurden eine erhöhte Schädigung der Zellmembranen sowie oxidativer Stress nachgewiesen. Oxidativer Stress lässt Zellen schneller altern und kann ein Auslöser sein für Krebs oder Erkrankungen des Immunsystems. Die Partikel erwiesen sich als unterschiedlich schädlich, je nach Turbinenschubleistung und Treibstoffart: Die höchsten Werte wurden für konventionellen Treibstoff im Leerlauf und für den Biotreibstoff bei Steigflugbetrieb gemessen. Diese Ergebnisse waren überraschend. Insbesondere bei den Tests mit konventionellem Kerosin und bei voller Triebwerkleistung – vergleichbar mit Start und Steigflug – war die Reaktion der Zellen kleiner als erwartet.
«Diese Ergebnisse lassen sich teilweise mit den sehr kleinen Dimensionen und der Struktur dieser Partikel erklären», sagt Anthi Liati, die bei der Empa auf Nanostrukturen von Verbrennungsaerosolen spezialisiert ist. Zudem reagierten die Zellen nach einer Exposition mit Biotreibstoff mit dem vermehrten Ausschütten von Entzündungsmediatoren, die für unsere Körperabwehr von zentraler Bedeutung sind. «Diese Reaktionen reduzieren die Fähigkeit der Atemwegszellen, auf einen nachfolgenden viralen oder bakteriellen Angriff entsprechend zu reagieren», erklärt Marianne Geiser.
Insgesamt hat sich laut den Forschenden gezeigt, dass die zellschädigende Wirkung von Partikeln aus Benzin-, Diesel- und Kerosinverbrennung bei ähnlicher Dosis und ähnlicher Expositionsdauer vergleichbar ist. Zudem wurde ein ähnliches Muster bei der Ausschüttung von Entzündungsmediatoren nach Exposition mit Benzin- und Kerosin-Partikeln gefunden. «Die in unserer Studie verwendeten modernsten Messmethoden, der interdisziplinäre Ansatz und die daraus gewonnenen Ergebnisse bilden einen weiteren wichtigen Schritt für die Erforschung der Luftschadstoffe und deren Auswirkungen auf die Gesundheit», sagt Geiser.
Aerosole: Distanz zur Quelle entscheidend
Die Wirkung primärer ultrafeiner Partikel ist demzufolge abhängig von der Distanz zur Quelle, das heisst es ist ein Unterschied, ob sich Personen grundsätzlich sehr nahe bei den Quellen aufhalten (wie Personen am Strassenrand) oder in grösserer Distanz (rollendes Flugzeug, startendes Flugzeug). Wie gross die Wirkung in grösserer Distanz zu einem Flugzeugtriebwerk noch ist, soll nun Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.
Bereits getroffene Umweltmassnahmen – ein spezielles Engagement der Schweiz
Im Februar 2019 hat das Umweltkomitee der ICAO mit Vertretung aller wichtigen Herstellerstaaten dem Vorschlag von Grenzwerten, die ab 1.1.2023 für neue Triebwerkstypen gelten sollen, zugestimmt. Dabei trugen die Ergebnisse der vorliegenden Studie bereits dazu bei, diese globalen Grenzwerte festzulegen. Die Luftfahrt ist der bisher einzige Sektor, der globale Grenzwerte für ultrafeine Partikelemissionen einführt.